Ja, wo isser denn!?

... und hier isser jetzt gerade:

Freitag, 13. Juli 2012

An's Ende der Welt (30. Juni bis 2. Juli)

Der Wecker klingelt, wie schon angedroht, mitten in der Nacht - um vier Uhr. Eine Stunde spaeter habe ich gepackt, gefruehstueckt und radle durch's naechtliche Milwaukee.


So ganz langsam wird's hell, die Strassen sind aber noch sehr leer.


Als ich am See ankomme, klettert auch die Sonne langsam hinter'm Horizont hervor. Ganz langsam allerdings.


Am Hafen hat sie es dann geschafft.


Ich uebrigens auch - ohne Reservierung komme ich um dreiviertel sechs an der Faehre an, und es wird hektisch, denn zu meiner Ueberraschung legt sie zehn Minuten vor der geplanten Zeit ab, also um zehn vor sechs. Wer ahnt denn sowas? Aber ich komme noch mit an Bord, und fuer 99 US$ duerfen mein Radl und ich quer ueber den Lake Michigan nach, naja, Michigan eben. Muskegon, um genau zu sein.

Ein letzter Blick auf die Silhouette von Milwaukee, ...


... dann geht's der Sonne entgegen.


Auf Deck wird's mir aber schnell zu kalt. Unter Deck laufen die Klimaanlagen auf Hoechststufe, auch nicht besser. Hilft nix. Mit einem Auge schaue ich mir noch den Muppets-Film an, der auf allen Bildschirmen laeuft, der meiste Teil von mir schlaeft allerdings noch'n bisschen.

Drei Stunden spaeter kommen wir am anderen Ufer an - obwohl wir mit ueber 30 Knoten unterwegs waren. Der See ist einfach breit.

Vorbei an einem alten U-Boot...


... und einem wunderbaren Sandstrand...

... geht's an Land. Und da stehe ich erst mal ein wenig dumm da, denn wider Erwarten habe ich keinen Mobiltelefon-Empfang und kann daher auch nicht navigieren. Also fahre ich erst mal in die Richtung los, in der ich die Stadt vermute, auf der Suche nach einem offenen WLAN.

Da ist aber weder eine Stadt noch ein WLAN. Allerdings haelt recht bald ein freundlicher aelterer Rennradler neben mir und fragt, ob ich Hilfe brauche. Das Glueck hat mich nicht verlassen. Ich erklaere die Lage, und er schlaegt vor, zu ihm zu fahren, das laege eh auf meinem Weg und ich koenne sein WLAN benutzen. Wir machen das, ich orientiere mich und kriege sogar noch einen Kaffee.

Ausserdem aendert David - so heisst der Radler - spontan seine Plaene und begleitet mich die ersten zehn Meilen auf meinem Weg. Er ist pensionierter Richter am Arbeitsgericht, und wir unterhalten uns sehr interessant.

Von der Landschaft gibt es nicht viel berichtenswertes. Ich nehme dieses Foto auf, aber da ich auf meinem kleinen Tablet hier die Schrift auf dem Schild nicht lesen kann, weiss ich gerade nicht, warum.


Hier hingegen ist's mir klar - ich wundere mich kurz ueber die ungewoehnliche Formulierung auf dem Schild neben dem Radweg und kombiniere das mit meinem kuerzlich erworbenen Wissen ueber Schneemobile. Der Schluss liegt nahe: das Schild will alles, was einen Motor hat, ausschliessen, nur eben Schneemobile erlauben, und die haben ja keine Raeder. Clever.


Ich bin uebrigens schon wieder auf einem Rails-to-trails-Radweg. Das bleibt ganz ueberwiegend auch die naechsten Tage so.

Ganz generell aendert sich der Fokus der Reise gerade ein wenig - die Landschaft ist hier weniger spannend als im Sueden, finde ich, aber dafuer uebernachte ich jetzt fast immer bei Couchsurfing- oder Warmshowers-Hosts und lerne wirklich die allerunterschiedlichsten Leute kennen.

Das zum Beispiel sind Andrea und Greg, und sie haben ein sehr interessantes Lebenskonzept: das Haus hinter ihnen gehoert einer Uni und hat neben ihrem eigenen Schlafzimmer noch drei weitere fuer sechs Studenten. Die beiden fuehren also dieses "Studentenwohnheim", das aber weit ueber ein normales Wohnheim hinausgeht, denn man lebt wie in einer grossen Familie zusammen - es wird gemeinsam eingekauft, gekocht, gefeiert. Zudem muessen die Studenten sich noch in der Nachbarschaftshilfe engagieren - das Haus liegt in einem "Low Income"-Viertel. Das ganze ist also eher eine Art soziale Schulung, und Andrea hat dementsprechend auch einen Abschluss in "higher education".


Ausserdem hat sie dem Stadtrat noch ein paar ungenutzte Grundstuecke abgeschwatzt, auf denen sie Gemuesegaerten angelegt hat, die sie mir stolz (zu recht) praesentiert. Sie werden von sozial schwachen Nachbarn gepflegt, und die Ertraege werden dann kostenlos verteilt. Gelebte Nachbarschaftshilfe in Reinform. Else waere begeistert.


Ich habe eines der Studentenzimmer fuer mich alleine, denn es sind gluecklicherweise gerade Semesterferien.

Der naechste Tag soll mich bis Williamston bringen, 133 km entfernt. Ich breche frueh auf. Die Landschaft ist wieder nicht so umwerfend, ich treffe aber unerwartet auf einen doch eher untypisch schmucklosen Hindu-Tempel.


Direkt gegenueber liegt uebrigens eine christliche Kirche. So ganz wollte man das Seelenheil in dieer Gegend wohl dann doch nicht den Hindus ueberlassen.

Als technisch interessiertem Menschen faellt mir dann dieser Traktor am Wegesrand auf. Das besondere dabei? Er ist extrem minimalistisch: die Vorderachse ist direkt am Motorblock montiert, die Getriebeglocke ist bis zum Differential verlaengert, das auch direkt in die Hinterachse integriert ist. Alles andere ist an diese Komponenten angeschraubt - es gibt keinen Rahmen und keine Verstrebungen. Wenn man Motor und Getriebe trennt, zerfaellt der Traktor in zwei Teile. Ackerleichtbau extrem.


So sieht die Gegend hier aus, einfach mal als Beispiel fotografiert.


Und so sieht mein rechtes Wadl aus, wenn ein Hund dran rumgekaut hat. Das bloede Vieh ist mir hinterhergerannt, als ich an "seinem" Haus vorbeigeradelt bin.

Wahrscheinlich wollte er wirklich nur spielen, aber erfreut hat's mich trotzdem nicht. Die junge Baby- und Hundesitterin (die Eigentuemerin war nicht zu hause) war sehr erschrocken und hat sich von mir trotzdem noch eine Standpauke anhoeren muessen. Ich hoffe, der Hund bleibt jetzt im Haus eingesperrt, bis er gelernt hat, wo seine Grenzen sind.
Zu allem Ueberfluss lasse ich bei einem Stop auch noch meine Handschuhe auf den Packtaschen liegen. Als mir das nach zehn Kilometern auffaellt, sind sie schon runtergefallen. Aber so weit will ich nicht zurueckradeln, also dann ab jetzt ohne Handschuhe. Geht aber auch ganz gut.


Und dann war da noch dieser extrem kurznasige Lastwagen. Ich muss doch mal recherchieren, was das fuer ein Modell ist. Wenn der Fahrer auch nur ein klein bisschen Fussraum hat, wo ist dann der Motor?



Die Nacht verbringe ich mitten im Wald - aber mit einem Haeuschen um mich rum. Wieder ein nettes Paerchen, aber ganz anders als vorige Nacht.


Ich werde wieder aufmerksam umsorgt, unter anderem von drei Katzen, die mir neben ihrer Aufmerksamkeit noch jede Menge Haare schenken. Gut, dass ich nicht allergisch bin.

Am naechsten Morgen erlaube ich mir, eine halbe Stunde laenger zu schlafen, denn ich muss nur 69 km bis nach Fenton fahren. Urspruenglich wollte ich nach Flint, aber Seth,mein Host in Fenton, hat mir massiv davon abgeraten. Zu recht: Flint war in den vergangenen Jahren in der Verbrechensstatistik immer in den Top Five der gefaehrlichsten Staedte der USA. Hier hat frueher GM seine Fabriken gehabt, wir sind ja nicht weit weg von Detroit. Und mit dem Niedergang der Autoindustrie ist auch Flint abgestuerzt.

Also auf nach Fenton - nicht mehr auf einem Trail, sondern auf unasphaltierten Landstrassen. Macht wenig Unterschied.


Unversehens gerate ich in Filmaufnahmen. Man sagt mir den Titel, den ich aber schon wieder vergessen habe - irgendwie so "a.k.a. <Name eines beruehmten Indianers>". Jedenfalls Hollywood, nicht irgendeine Billigproduktion.


Und weiter geht's nach Argentinien. Je weiter ich nach Osten komme, umso lustiger werden die Ortsnamen. Ihr werdet da noch mehr zu sehen und lesen kriegen.


Der Tag ist der bisher schwuelste - es hat 35 Grad und ueber 70% Luftfeuchtigkeit. Der Abstand zwischen den Pausen reduziert sich auf die Entfernung zwischen den jeweils naechstliegenden Tankstellen, die immer auch kalte Getraenke verkaufen. Und ich bin froh, dass ich heute nicht so sehr weit fahren muss.

Heute nacht schlafe ich schon fast europaeisch in einem dreistoeckigen Apartmenthaus. Mein Fahrrad darf auf den Balkon.


Mein heutiger Host ist ein junger, sehr amerikanisch aussehender presbyterianischer Pastor. Er betreut Fenton und die Nachbargemeinde. Wir gehen ausnehmend gut essen, was vielleicht daran liegt, dass es ein franzoesisches Restaurant ist, und unterhalten uns dabei ueber einer der angesagtesten Themen: gay marriage. Wird in den USA derzeit ganz gross diskutiert. Er hat damit durchaus Probleme, und ich versuche natuerlich mein bestes, ihm die Argumente fuer die Gleichstellung darzulegen. Ueberzeugt habe ich ihn sicher nicht, aber vielleicht neue Sichtweisen aufgezeigt. Wir haben unsere jeweiligen Meinungen jedenfalls respektiert

Das ist dann auch erst mal meine letzte Nacht in der unzivilisierten Welt - die naechste verbringe ich dann schon in Kanada, wo nicht jeder mit Feuerwaffen rumlaufen darf.

In der Nacht kuehlt es kaum ab, und da das Apartment nur im Wohnzimmer eien Klimaanlage hat, laufen nachts drei Ventilatoren, die die kuehle Luft in alle Zimmer verteilen sollen. Funktioniert aber nur so mittelpraechtig.

Erst am Morgen kommt die Regenfront ueber mir an.


Die Wolken ziehen sehr schnell ueber den Himmel und bilden dabei interessante Formen. Es regnet immer mal wieder, die schweren Gewitter erwischen mich aber nicht.


Positiver Seiteneffekt: es kuehlt bis auf unter 22 Grad ab.


Und so fahre ich auf ewig langen, geraden Strassen durch endlose Waelder, wie ich sie eher in Nordkanada erwartet haette. Mir kommen immer mal wieder Monstertrucks entgegen, die wohl Steine transportieren. Dieser hier hat sage und schreibe 42 Raeder.



Tja, Julia, da waere er gewesen, Dein Liebster. Leider hat Shakespear diesen Wegweiser in seinem Stueck nicht eingebaut. Haette vermutlich auch die Spannung ein wenig zerstoert.


Endlose Strassen durch den Wald, wie gesagt.


Ich komme in Port Huron an, der amerikanischen Grenzstadt am St. Clair River. Sie besteht erstmal aus einigen Einfallstrassen, an denen sich Tankstellen und Fast-Food-Laeden unterbrechungslos abwechseln. Erst in der Stadt selbst wird's besser, da gibt' dann so verspielte Haeuser wie dieses hier.



Ueber diese Bruecke muss ich, die andere Seite ist schon Kanada. Dumm nur, dass man da weder mit dem Fahrrad noch zu Fuss drueber darf - wahlweise wegen "9/11" oder zu vielen Selbstmoerdern. Beides ist mir nicht ganz einsichtig.


Ich fahre einfach mal hin, und als mich der amerikanische Grenzer anspricht, erzaehle ich ihm, dass ich gehoert habe, Radler wuerden ruebereskortiert. Das wirkt, er meint, dass ich mich einfach mal an der eigentlichen Grenzkontrolle melden soll. Dort kommt mir auch schon ein Strassenmeistereimitarbeiter in orangen Klamotten entgegen und meint, ich soll mein Radl auf seinen Pick-Up laden.
Wir fahren mit gelbem Blinklicht auf der Sonderspur ueber die Bruecke, alles wunderbar. Dann laesst mich aber die kanadische Einwanderungsbehoerde erstmal eine halbe Stunde warten und will danach alles ganz genau wissen. Schliesslich kriege ich aber doch den noetigen Stempel. Ich darf jetzt bis Monatsende in Kanada bleiben.

Die gleiche Bruecke, aber jetzt von Kanada aus.


Mein Host fuer die Nacht ist Christine, eine alleinerziehende Mutter mit Hund und Katze und einem vierzehnjaehrigen Sohn. Sie leben in einem kleinen Haeuschen - und ihre Fuersorge geht so weit, dass sie fuer mich ihr Schlafzimmer geraeumt hat und im Bett ihres Sohnes uebernachtet, der wiederum irgendwo auf einer Luftmatratze schlaeft. Ich habe ein schlechtes Gewissen.

Christine ist in Sarnia - das ist die Grenzstadt auf kanadischer Seite - geboren und aufgewachsen und stolz auf ihre Stadt. So fahren wir herum und sie zeigt mir alles sehenswerte, was nicht viel ist, hauptsaechlich der Strand - wir sind ja immer noch an den Grossen Seen. Wir diskutieren die Wirtschaftskrise und warum sie sich auf kanadischer Seite wesentlich weniger in der Zahl der Verbrechen widerspiegelt als in den USA - denn auch Sarnia hatte viel Automobilindustrie-Zulieferer. Ob das an den Waffengesetzen liegt, koennen wir nur vermuten.

Ein gutes Abendessen kriege ich natuerlich auch noch.

Auf der Besichtigungstour entdecke ich diesen Honda Insight, ein Elektro-Hybrid. Die kommen hier in den USA und Kanada oefters vor - das besondere hier ist aber das Kennzeichen: "103 MPG", also Miles Per Gallon, die uebliche amerikanische Verbrauchsangabe. 103 mpg sind natuerlich sensationell viel, normale Autos schaffen 20 bis 30 mpg. Da ist aber wohl die zur Erzeugung des Stroms aus der Steckdose beim Aufladen benoetigte Energie nicht beruecksichtigt.


Kanada ist uebrigens ganz komisch: Entfernungen werden in Kilometern angegeben, der Verbrauch in mpg, und wenn man jemanden fragt, wie gross und wie schwer er ist, antwortet er in Fuss und Pfund.

Meine Posts schliessen ja nun fast schon traditionell mit einem Sonnenuntergangsbild. In diesem Fall verschwindet sie ueber dem St Clair River an der Muendung in den See.


Ab morgen geht's dann durch Kanada Richtung Niagara-Faelle.

1 Kommentar:

  1. Hi Daniel,

    schön daß es nur ein Hund war und der "nur spielen" wollte! Wünsch Dir in Zukunft immer mindestens nen Meter Abstands zu Zähnen, Krallen, Tatzen und Hufen.

    Wegen des Trucks versuch mal "1942 Chevrolet Coe Truck" Fußraum sieht gar nicht so klein aus...

    Na dann "Roll on"
    Mark

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