Ja, wo isser denn!?

... und hier isser jetzt gerade:

Sonntag, 15. Juli 2012

Auf nach Rom! (8. bis 11. Juli)

Back in the USSR USA - die Beatles moegen mir verzeihen. Die naechsten Etappen werden mich nach Rome bringen - nicht dem in Italien, sondern dem in New York, was ja nicht nur eine Stadt, sondern ein ganzer Bundesstaat ist. Eher laendlich gepraegt uebrigens, mit riesigen Waeldern. Ganz anders als die Stadt, die uebrigens nicht mal die Hauptstadt ist. Das ist naemlich Albany.

Ich radle also los, zum zweiten Mal von Fonthill nach Niagara Falls, diesmal allerdings ueber die Bruecke. Die Einreise klappt hier problemlos, die Grenzer sind Besuchermassen gewohnt.


Und - ich bin in New York! Yay! Allerdings erst New York State, noch nicht New York City.

Das ist immer noch Niagara Falls, diesmal die amerikanische Version. Hubschrauberfluege ueber die Falls sind sicher ein gutes Geschaeft - aber einfach eine Plattform auf den Parkplatz eines Supermarktes mitten in der Stadt stellen und ohne weitere Sicherheitsmassnahmen mit dem Hubschrauber starten und landen? Das kommt mir doch ein wenig unsicher vor.


Egal, ich strampele weiter. Am Strassenrand finde ich dieses extrem knuffige Autochen. Wenn's zu verkaufen waere, kaeme ich ernsthaft in Versuchung. Es ist einfach suess - sieht aus wie aus einem Comic entsprungen.


Als ich in einer Schaufensterscheibe mich selber sehe, wage ich mal den Versuch eines Selbstbildnisses. Schade, in Wirklichkeit war die Spiegelung sehr viel klarer.


In Lockport treffe ich dann auf den Erie Canal. Der war mir bisher entgangen, aber Wikipedia sei Dank schliesse ich diese Bildungsluecke schnell, denn wie sich herausstellt, wird er mich die naechsten Etappen bis Albany begleiten. Er wurde 1825 eroeffnet und hat die Besiedlung des Bundesstaates New York ganz entscheidend vorangebracht, denn er war der erste Wasserweg, der den Atlantik mit den Grossen Seen verbunden hat.


Der Kanal wird inzwischen fast nur noch von Freizeitschiffen benutzt, die Schleusen sind aber alle noch in Betrieb. Hier verlaeuft er mitten durch Lockport.


Ich treffe auch auf ueberraschend viele andere Radler, die ...



... alle so ein kleines Schildchen am Fahrrad haben. Es stellt sich heraus, dass ich zufaellig in den jaehrlichen Erie Canal Ride geraten bin - 500 Radler fahren in acht Tagen von Buffalo nach Albany, den gesamten Kanal etlang, also etwa 400 Meilen. Wenn ich das vorher gewusst haette, waere ich mitgefahren.


Allerdings fahre ich auch genau die gleiche Strecke, nur erheblich schneller. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass die Organisatoren die Strecke sehr schoen markiert haben, wo immer sie ueber Strassen fuehrt. Das hilft mir beim Navigieren.


Und so geht's erstmal einige Zeit auf dem alten Treidelweg ("tow path") entlang.


Bei der ersten Pausenstation treffe ich diese beiden Radlerinnen. Ich wundere mich, dass sie ihr ganzes Gepaeck dabei haben, denn eigentlich bietet der Organisator ja einen Transportservice. Sie sagen, dass sie irgendwann eine Transamerika-Tour machen werden, und da wollen sie schon mal unter realistischen Bedingungen ueben. Guter Punkt.


Ihre Fahrraeder sind meinem erstaunlich aehnlich - man kommt bei der Vorbereitung zu so einer Tour wohl doch immer zu aehnlichen Schluessen bezueglich Ausstattung.

Auch wenn ich die 600 US$, die der Ride kostet, nicht bezahlt habe, greife ich doch zu und goenne mir zwei Melonenstuecke und etwas Gatorade. Ich hoffe, die Veranstalter verzeihen mir.


Nebenbei, wahrscheinlich habt ihr euch noch nie gefragt, wie Stuntzi denn die Fahrt von seiner Tasche aus so erlebt. Ich zeig's euch trotzdem - ein Foto der Stuntzicam:


Mich wuerde das Rad direkt neben mir ja nervoes machen, aber Stuntzi hat da anscheinend bessere Nerven.

Mehr Wildgaense. Viel mehr. Sieht man dann auch an den Hinterlassenschaften auf dem Weg.


Unterwegs wird der Kanal auf Schautafeln sehr schoen erklaert, auch immer die lokalen Besonderheiten. Aquaedukte waren damals eine ganz grosse Sache, lerne ich.


Wenn man sich schon ueber einen vor einem herfahrenden Laster aergern muss, dann laechelt er einen zumindest nett an. :)



Diese beiden Fernradler fahren bis an die Westkueste, also entgegen meiner Richtung. Ich treffe sie abends um fuenf, und sie sind gerade erst in Syracuse losgefahren. Ja, sie wollen heute nachts fahren - "the moon is very bright". Ich habe so meine Zweifel an dem Konzept, aber sie sind jung, und die Ausruestung sieht ja auch nicht schlecht aus. Bei Gelegenheit schaue ich mal auf ihre Reise-Website. Jedenfalls freuen sie sich sehr, als ich ihnen die Warmshowers- und Couchsurfing-Apps fuer ihre iPhones zeige - die kannten sie noch nicht.


Nach einem langen Tag entlang des Kanals komme ich in Rochester an. Mein Couchsurfing-Host Gary trifft mich mit dem Fahrrad auf dem Trail. Ich habe 99 Meilen auf dem Tacho - das geht natuerlich gar nicht. Also beschliessen wir eine kleine Stadtrundfahrt, bei der er mir die wichtigsten Sehenswuerdigkeiten einer Stadt zeigt.

Fangen wir mal mit einem Ueberblick an - die Silhouette von Rochester im Abendlicht.


Der alte U-Bahn-Tunnel. U-Bahn? Ja, Rochester war zwar nie sehr gross, aber eine U-Bahn hatte es durchaus. Leider wurde sie irgendwann stillgelegt und verfiel dann. Jetzt faehrt wieder jedder mit dem Auto - schade eigentlich.

Ein Gebaeude mit Fluegeln, die mich zuerst allerdings an Hasenohren erinnert haben.


Gary erzaehlt mir von der Rivalitaet zweier Baumeister, die dieses und das gegenueberliegende Haus (hinter mir) gleichzeitig gebaut haben. Keiner wollte dem anderen den Triumph des hoeheren Gebaeudes lassen, und so haben sie ihr jeweiliges Haus immer wieder aufgestockt. Der Turm steht nicht etwa hinter dem Haus, er ist ein Teil davon. Damit hat dieses Haus dann gewonnen.


Ein altes Muehlrad, das erst vor ein, zwei Jahrzehnten wiederentdeckt wurde. Es trieb frueher mal die Maschinen zweier Fabriken an. Auf der Wasserkraft und der Transportmoeglichkeit durch den Erie-Kanal beruhte die Wirtschaft von Rochester.


Nach der Stadtrundfahrt habe ich 167,5 km auf dem Tacho - meine bisher laengste Etappe ueberhaupt. Ich fuehle mich allerdings noch ziemlich fit. Die letzten Monate haben meine Kondition doch deutlich verbessert. Allerdings war's am Erie Canal entlang doch sehr flach. Huegel haetten mir vermutlich deutlich mehr zugesetzt.

Gary ist ein sehr interessanter Mensch mit sehr vielsseitiger Bildung. Beim Abendessen diskutieren wir Rochester, amerikanische Politik, historische Filme und anderes. Erst ist erst der zweite Mensch, der auf Anhieb weiss, wo mein Spitzname "Tadzio" herkommt.

Der naechste Morgen startet mit einem guten Kaffee in einem sehr netten schwulen Cafe in Rochester. Ich bin begeistert, dass es dort so etwas gibt. Waere in den Suedstaaten wohl deutlich problematischer.

Danach geht's weiter wie am Vortag, den Kanal entlang bis Syracuse.


Einfach rechts neben der weissen Tuer durch? Schlechte Idee - das ist nur ein Gemaelde, genauso wie der Torbogen am Ende des Steges weiter rechts. Gemein.


Inzwischen weiss ich ja, dass es Aldi auch in den USA gibt. Trotzdem immer wieder ueberraschend. Reingegangen bin ich aber nicht.


Wer bitte kommt denn auf die Idee, einer Gemeinde so einen Namen zu geben? Benannt nach einem Moerder? Wuerdet ihr da leben wollen?


Oh, und die beiden sind meine absoluten Lieblings-Fernradler. Sie sind ihr eigenes kleines Filmfestival - neben den Filmen haben sie auch einen Projektor und alle andere noetige Technik dabei. Sie fahren bis nach Chicago, zeigen unterwegs ihre Filme und lernen aus dem Feedback ihres Publikums.


Nebenbei sind sie noch schwul, und der da gerade kniet ist einfach superwitzig. Und suess. Ich helfe ihnen ein bisschen, ihren dritten platten Reifen des Tages zu flicken, und verabschiede mich wieder. Eigentlich waere ich gerne umgedreht und mit ihnen gefahren, aber das haette dann doch nicht lange geklappt - wildzelten und sich ohne Geld durchschlagen, dafuer bin ich inzwischen zu bequem geworden.

Irgendwas wichtiges fehlt bisher in diesem Blog noch. Nur was? Richtig: Katzencontent! Kristie, meine naechste Couchsurfer-Gastgeberin, hat eine Katze, gerade mal ein Jahr alt und doch schon Mutter geworden:


Lange her, dass ich so junge Katzen auf dem Arm hatte. Sehr knuddelig.





Das ist das Haeuschen, in dem ich uebernachte. Kristie gibt sich alle Muehe, eine gute Gastgeberin zu sein. Sogar bevor wir essen gehen, macht sie noch einen kleinen Fingerfood-Imbiss mit wirklich guten italienischen Zutaten - Parmesan, Oliven, Salami. Herzlichen Dank!


Das ist der Huegel, den ich am Abend noch rauf musste, und zwar nach einem weiteren langen Tag von 156 km. Aber heute morgen darf ich ihn ja runterfahren. Sieht gar nicht so steil aus, sind aber locker 11%.


Der Treidelweg wird zunehmend schmaler, der Kanal waechst zu. Das ist ein Abschnitt des alten, originalen Kanals, der nicht mehr benutzt wird. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Erie-Kanal ja erweitert und teilweise verlegt. Die dann unbenutzten Abschnitte sind teilweise leer, teilweise aber auch noch voll Wasser.


Hier koennt ihr die Geschichte ein wenig nachlesen, falls sich das Bild auf eurem Computer ausreichend vergroessern laesst.


Schon gewusst? Rom und Wien liegen gerade mal 16 Meilen auseinander. Da ich ja aber schon von London nach Paris geradelt bin, spare ich mir diesen zweiten Hauptstadtsprung.


Kleiner technischer Exkurs - solche Konstrukte sehe ich schon die ganze Reise ueber, jetzt habe ich doch mal eines fotografiert.


Das ist erst mal ein normaler Hochspannungsmast. Um umliegende Gebaeude versorgen zu koennen, muss die Spannung auf 110 Volt heruntertransformiert werden. In Deutschland werden dafuer kleine Trafo-Haeuschen gebaut, und die (hier) 230 Volt laufen dann unterirdisch in die zu versorgenden Gebaeude.
Nicht so in diesem Fall. Die Transformatoren werden einfach mit an den Mast gehaengt, und die 110 Volt laufen dann an denselben Masten wie die Hochspannung mit. Sehr pragmatischer Ansatz, aber leider auch sehr anfaellig fuer Stuerme und betrunkene Autofahrer. Und schoen ist auch was anderes. Na, egal.

Nach weiteren sieben Meilen komme ich dann bei meinem naechsten Gastgeber an, wo ich zwei Naechte bleibe. Das hat seinen Grund und ist einen eigenen Blogeintrag wert, auf den ihr noch ein wenig warten muesst.

Nur soviel: das ist der Blick von der Terasse aus.



Und das ist das zugehoerige Haeuschen.


Mehr als nur sehr nett. Mehr im naechsten Post.

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