Ja, wo isser denn!?

... und hier isser jetzt gerade:

Sonntag, 3. Juni 2012

Ab in die Hauptstadt (30. und 31. Mai)

Von Hillsboro geht es nach einem guten Fruehstueck (ja, mit Tischgebet) weiter Richtung Council Grove. Diesmal passe ich genau auf und biege nicht wieder Richtung Ostblock ab - in Pilsen war ich ja schon mal mit dem Fahrrad, das genuegt. Auch wenn's nur 8 Meilen sind.


Ich will dann auch weder nach Manhattan - jedenfalls jetzt noch nicht, dazu macht's zuviel Spass - noch nach Florenz. Witzig, welche Orte hier so alles versammelt sind.



Friedhoefe irgendwo zwischen den Ortschaften gibt's hier in Mengen. Bei einem davon mache ich eine Pause, auch um meinen Hintern etwas zu erholen, und suche den aeltesten Grabstein. Der hier ist von 1861, also noch vor der Hoch-Zeit des Wilden Westens. Schon nicht schlecht, wenn man sich vorstellt, wie es damals hier zu zugegangen sein muss.


Die Weizen- und Maisfelder verschwinden zusehends, weite Praerielandschaft nimmt jetzt ihren Platz ein.


Den Hintergrund dazu erfahre ich hier.


So richtig "tall" ist das Gras allerdings gar nicht (und es gibt auch keine Sowasamma-Neger), aber es ist die urspruengliche Praerie, wie sie zu Zeiten der Bueffelherden hier existiert hat.


Ich bin am Anfang der Flint Hills. Dass hier kein Ackerbau betrieben wird, liegt einfach daran, dass die oberste Erdschicht sehr duenn ist und direkt darunter der Fels beginnt. Schlecht fuer Weizen, gut fuer Gras - daher gibt es viel Viehzucht. Ich bleibe bis Kansas City in den Huegeln - die Praerie ist wirklich toll, wenn man sich die damaligen riesigen Bueffelherden bildlich vorstellt.

In einem alten Herrenhaus hat die Tallgrass Prarie Preserve ihr Informationszentrum eingerichtet. Hier treffe ich auf Bob - den CFO von Aerocharger, einer Firma, die Turbolader fuer Fahrzeugmotoren entwickelt. Bob ist mit einem Harley-Prototypen unterwegs, an dem so ein Ding montiert ist. Bringt seiner Aussage nach glatt 40 PS.



Jetzt habe ich doch glatt schon zwei Harleys! Die hier hat, wie wir gemeinsam festgestellt haben, sogar ein Radio meines Broetchengebers Harman im Cockpit. So schliessen sich die Kreise.
Ich fahre aber dann doch mit der unaufgeladenen Kraft meiner zwei Beine weiter. Harleys machen Spass, aber auch traege.

Zwischendurch mache ich immer mal wieder spontane Fotos der Praerie. Ihr werdet noch zwei, drei davon weiter unten sehen.


Jede Kuhherde, an der ich vorbeikomme, begruesse ich laut mit einem freundlichen "Muuuuuhhhh!" Oft werde ich leider missverstanden, und die Kuehe rennen aengstlich weg, obwohl sie doch viel groesser und staerker sind als ich.

Bei dieser Herde allerdings habe ich wohl den richtigen Ton getroffen - sie kommen alle angerannt und schauen mir interessiert zu, wie ich sie fotografiere. Die Unterhaltung bleibt aber etwas einseitig - wahrscheinlich haben sie einfach nichts interessantes zu sagen.


Ja, wo isses denn? Hier faengt Council Grove an, aber es versteckt sich hervorragend im Wald vor mir.


Es ist aber - nach ein, zwei weiteren Meilen - doch da und bietet ein sehr nettes Hotel, das eigentlich eher ein Bed & Breakfast ist, was hierzulande die luxurioesere und teurere Variante eines Hotels ist. Obwohl ich nicht im Haipthaus wohne, sondern in Motel-Anbau, erlaubt man mir leider nicht, das Fahrrad mit in's Zimmer zu nehmen. So bleibt es draussen im Regen, aber immerhin fest an einen Pfosten angeschlossen.

Fuer das Abendessen suche ich mir nicht das Hays-Haus aus, in das jeder geht, weil es das aelteste ununterbrochen betrieben Restaurant westlich des Mississippi ist, sondern ein Lokal, das zugleich Museum ist. Ich bin der einzige Gast. Der Besitzer, gekleidet in Stil des 19. Jahrhunderts, erzaehlt mir alles ueber das Haus (das er und seine Frau eigenhaendig wieder hergerichtet und zu einem Museum gemacht haben), die Geschichte des Ortes und der naeheren und weiteren Umgebung und noch viel mehr. Er hat ein enormes Wissen, aber ein bisschen weniger Wortschwall waere auch genug. Das Haus ist ein bisschen ein Sammelsurium von allem, aber trotzdem absolut sehenswert.

Waehrend ich esse, zieht ein Unwetter heran. Ich bin zwar nur etwa einen Kilometer vom Hotel entfernt, aber es blitzt und donnert und regnet doch maechtig. Der Besitzer und seine Frau bieten mir an, mich und mein Fahrrad zum Hotel zurueckzufahren, damit sie keine Angst haben muessen, dass der Blitz mich erschlaegt. Nehme ich gerne und dankend an. Die Gastfreundschaft hier begeistert mich immer wieder.

Am naechsten Tag geht es nach einem Fruehstueck, das seinen zugegebenermassen sehr hohen Erwartungen nur teilweise gerecht wird (echtes Joghurt waere schoen gewesen, kein Chemieschlabberzeug), weiter Richtung Topeka, durch gruene Landschaften, mit netten kleinen Fluessen, ...


... apokalyptisch anmutenden Reitern auf einem Huegel, ...

... mehr Praerie, ...

... und noch mehr Praerie mit Bilderbuchwolken.

An dieser Kreuzung wird's fuer einen Moment wehmuetig: ich verlasse den Highway 56, dem ich immerhin seit Springer neun Tage und 920 km lang gefolgt bin. Mal war er gut zu mir mit breiten Seitenstreifen und wenig Verkehr, mal weniger. Nun geht es auf dem Highway 99 weiter, und sofort wird der Seitenwind zu einem sehr kraeftigen Gegenwind. Ich komme mit etwa 8 km/h vorwaerts, und das bleibt auch die naechsten vier Stunden so.


Oder ist das gar nicht der Wind? Geht's vielleicht hier doch eher steil bergauf? Die Pfosten legen das jedenfalls nahe. Aber ich glaube, damit will der Farmer mich nur verwirren. Gelingt ihm aber nicht. Ich fahre trotzdem mit 8 km/h weiter.



Und dann begegnet mir wieder ein Ureinwohner, den ich hier nicht vermutet haette:


Die stattliche alte Dame hat sich mitten auf der Strasse niedergelassen. Es fehlt ein wenig der Groessenvergleich - den Schwanz mal nicht eingerechnet, ist sie bestimmt 30 Zentimeter lang. Als ich mich naehere, hebt sie drohend das Hinterteil - entweder, um groesser zu erscheinen, oder der doch eher saurierartige Scchwanz ist eine Schlagwaffe.

Da mich aber in den letzten 10 Minuten durchaus einige Autos ueberholt haben, die Strasse also nicht wirklich einsam ist, beschliesse ich, der alten Dame ueber die Strasse zu helfen. Vorsichtshalber ziehe ich meine Handschuhe an, auch wenn das wenig nutzt, da sie fingerlos sind, dann hebe ich sie sehr vorsichtig zur Seite. Das gefaellt ihr nicht, sie versucht nach mir zu schnappen. Ich lasse sie vor Schreck fallen, aber nur zwanzig Zentimeter tief und in's weiche tiefe Gras. Sie landet auf dem Ruecken, also muss ich doch nochmal ran und sie umdrehen. Das klappt ohne Schnappattacke, und so lasse ich sie richtigrum im Gras zurueck und kann nur hoffen, dass sie nicht gleich wieder auf die Strasse klettert und hofft, ihr Panzer koennte sie vor 20 Tonnen Stahl schuetzen, das mit 50 Meilen pro Stunde auf sie zukommt. Leider habe ich in den letzten Tagen einige kleinere Artgenossen von ihr gesehen, denen genau dieser Irrtum zum Verhaengnis geworden war.


Nach weiteren eineinhalb Stunden Strampeln komme ich in Eskridge an - ein kleiner Ort ...


... mit einer grossen Kirche. Wie gesagt, ich bin in sehr, sehr christlichem Gebiet.

Die Dauerkurbelei hat meinen Kalorienverbrauch drastisch erhoeht, ich brauche Nachschub. So setze ich mich in's einzige Restaurant des Ortes und komme bald mit der Chefin in's Gespraech. Sie erzaehlt mir, dass direkt auf der anderen Strassenseite die Lokalzeitung ihre Redaktion hat, und so ein Transamerikaradler doch eigentlich in die Zeitung muss. Zehn Minuten spaeter steht auch wie durch eein Wunder Melissa, die Reporterin der Zeitung, neben mir und interviewt mich. Yeah, ich komme in die Zeitung, ich werde doch noch beruehmt.

Melissa will ein Foto von mir machen. Meinen ersten Auftritt in einer Zeitung muss ich natuerlich fuer's Blog festhalten, also druecke ich Leslie, der Restaurantchefin, meine Kamera in die Hand. Sie verewigt sich erst einmal selber ...


... und haelt dann den historischen (huestel) Moment fest, an dem ich fuer die Zeitung fotografiert werde. Leider erscheint sie nicht auch als Online-Ausgabe, daher kann ich hier keinen Link anbieten.


Und weiter geht's durch den Wind und gruene Landschaft.

Waldkuehe. Haben sich wohl vor mir versteckt, damit ich sie nicht anmuhe. Lustig, habe ich auch noch nicht gesehen.


Und dann komme ich in Topeka, eine Stadt mit 125000 Einwohnern, an. Ich finde ein guenstiges Motel neben einem riesigen Einkaufszentrum, das unter anderem einen Elektronikmarkt beinhaltet. Schon in Albuquerque hatte ich mich nach einem Tablet-Computer umgesehen. Hier ergreife ich nun die Gelegenheit und leiste mir ein Asus Transformer TF300 - jetzt kann ich auch Blogeintraege mit Bildern drin erstellen, ohne immer eine Bibliothek suchen oder meine Hosts damit belaestigen zu muessen, an ihren Computer zu wollen. Die Hardware-Tastatur ist allerdings englisch, deshalb werdet ihr vorerst weiter auf Umlaute verzichten muessen. Dafuer kann ich jetzt auch - WLAN vorausgesetzt - skypen.

Ich widerstehe der Versuchung, mich einen Tag im Motelzimmer einzuschliessen und als der Geek, der ich bin, mit meinem schoenen neuen Spielzeug zu spielen. Vielmehr schwinge ich mich am naechsten Morgen auf's Radl und fahre Richtung Kansas City.

Noch in Topeka komme ich an diesem Gebaeude vorbei. Ein Schild sagt mir, dass es das Capitol ist. Nanu? Ist das nicht immer ein Regierungssitz?
In der Tat. Denn die Hauptstadt von Kansas ist nicht Kansas City, wie der unbedarfte Auslaender vermutet hat, sondern eben Topeka.



Der alte Abe ist auch da. Sein wohlwollender Blick auf mein Gefaehrt ist beruhigend - ab hier fahre ich mit dem Segen eines der bedeutendsten Ex-Praesidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.


Stuntzi laesst sich davon natuerlich nicht beeindrucken und klettert dem Praesidenten froehlich auf's bronzene Knie.

Ausserhalb von Topeka, in einem kleinen Ort, stosse ich auf dieses Missionsgebaeude im spanischen Adobe-Stil. Keine Ahnung, ob das jetzt wirklich so alt ist oder nur ein historisierender Neubau. Vorsichtshalber fotografiere ich es mal.



Kurz danach verlasse ich den Highway, denn der macht hier einen Umweg von etwa 20 Kilometern - zum einen, um die Huegel hier zu vermeiden, zum anderen, weil er sonst nicht durch Lawrence kaeme, was einige Leute wohl ziemlich schade finden wuerden.

Ich bleibe also auf dem direkten Weg nach Kansas City, der ab hier fuer die naechsten 20 Kilometer aber nur noch aus Schotterstrassen und teilweise sehr steilen Huegeln besteht - und mit "sehr steil" meine ich durchaus mal 12% Steigung. Trotzdem macht's mir riesig Spass. Nur die Hunde, die mich verfolgt haben, haette ich nicht gebraucht. Gebissen haben sie aber nicht.

In Kansas City begruesst mich das Speedway-Stadion.



Ich fahre weiter zu meinem Warmshower-Host und mache dort die erste schlechte Erfahrung. Nur soviel: ich bin sicher kein Sauberkeitsfanatiker, aber das war auch fuer mich nicht akzeptabel. Gluecklicherweise habe ich noch eine zweite Warmshower-Einladung im anderen Kansas City - ja, es gibt zwei, eines in Kansas, eines in Missouri. Das in Missouri ist das deutlich groessere, das in Kansas ist nur ein besserer Vorort. Die beiden sind rechtlich und verwaltungsmaessig auch voellig eigenstaendige Staedte in zwei verschiedenen Bundesstaaten, geographisch aber natuerlich eine Einheit. Die Grenze verlauft teilweise im Missouri River, teilweise aber auch einfach mitten auf einer Strasse. Lustig. Ich stelle mir gerade die praktischen Probleme vor - immerhin haben Kansas und Missouri ja eine Menge unterschiedlicher Gesetze.

Aber davon mehr beim naechsten Mal. Die neuen Warmshower-Hosts sind ein nettes Ehepaar von Ende Sechzig und selber gerade in den Vorbereitungen fuer den dritten Teil ihrer Transamerika-Fahrradtour. Schaut doch mal rein in ihren Blog.


Das Haus ist super, kein Vergleich. Ich bin jetzt in Kansas City, Missouri - definitiv die schoenere der beiden Staedte. Ich beschliesse spontan, einen Tag laenger zu bleiben. Im Moment sitze ich gemuetlich auf der Veranda und geniesse den Tag. Morgen machen wir eine kleine Stadtrundfahrt mit den Fahrraedern, dann plane ich meine Route nach Minneapolis im Detail und werde sie auch hier wieder posten. Uebermorgen geht's dann wieder auf die Strasse.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen