Das naechste Etappenziel ist weit weg, der Tag wird lang. Also starte ich in Dodge City ganz frueh, in den Sonnenaufgang hinein.
Eine Reitergruppe beobachtet mich. Etwas unbewegt allerdings, denn sie ist aus Metall. Auf der anderen Seite des Sockels steht "Dodge City" - ich denke, damit schlagen sie Elkharts Ortseingangsschild.
In der Naehe von Spearville treffe ich wieder auf eine Windfarm. Nein, der Propeller ist nicht beim Sturm letzte Nacht runtergefallen - die Farm wird gerade heftig erweitert. Der Wind hat uebrigens ueber Nacht deutlich nachgelassen und kommt jetzt von der Seite - manchmal sogar ein wenig von hinten.
Spearville hat stolz einen Infostand aufgestellt und ihn sogar als "Historic Marker" gekennzeichnet. Ich bin neugierig und rolle hin. Die Zahlen der erzeugten kWh merke ich mir nicht, aber ich erfahre, dass Dodge City die windigste Stadt (im Wortsinne) der USA ist, mit einer durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von 13,7 Meilen pro Stunde. Wahrscheinlich gibt's deswegen dort so wenig Fahrraeder.
In diesem kleinen Ort wuerde ich den Bewohnern gerne mal hinter die Stirn gucken - oder auch nicht. Nette kleine Haeuschen, rechts ein Kinderspielplatz und links ein Panzer aus dem Vietnamkrieg. Nun ja.
Der naechste Ort macht das deutlich weniger martialisch und stellt eine der alten Santa-Fe-Dampfloks aus. Davon muss es eine Menge gegeben haben, fast in jedem Ort steht eine. Schoen finde ich sie alle.
Das zugehoerige Museum ist leider geschlossen, aber immerhin weiss ich jetzt, dass ich genau in der Mitte zwischen meinem Start- und meinem Zielpunkt bin - wenn ich denn Luftlinie fahren wuerde. Tatsaechlich bin ich bis hier etwa 3800 km, also 2360 Meilen gefahren. San Diego war wohl doch ein kleiner Umweg.
Dann komme ich durch einen etwas groesseren Ort, dessen Hauptstrasse fuer mich der Prototyp einer Kleinstadt im Nirgendwo ist: niedrige, alte Haeuser an einer viel zu breiten Strasse mit viel zu vielen Parkplaetzen fuer viel zu wenig Autos. Und keine Fuessgaenger. Nicht einer.
Nach knapp 140 km komme ich in Great Bend an. Der Ort heisst so, weil hier der Arkansas River, an dem ich eine Zeitlang entlang gefahren bin, seine Richtung global aendert. Der Ort hat eine ueberraschend gute Infrastruktur, und so kaufe ich eine Menge Vorraete ein, fuelle meinen Waschbeutel mit Zahnpasta etc auf und gehe dann rueber in's Kino und schaue mir Man in Black 3 an, in 3D sogar. Netter Film, aber nicht mehr so spannend wie der erste.
Am naechsten Morgen geht's nach McPherson weiter. Von meinen Einkaeufen vom Vortag ist noch ein Sandwich uebrig, also machen wir zwei erstmal eine Fruehstuckspause. Stuntzi ist mittlerweile kekssuechtig. Gemeinerweise nimmt er dabei nicht zu. Ich aber auch nicht, im Gegenteil. Aber das wisst ihr ja schon.
Hin und wieder schlaegt der Wilde Westen doch bis in die Gegenwart durch. Denn wenn man genau hinschaut, ...
erkennt man, dass ein Drive-Thru auch mal ein Ride-Thru sein kann. Fast jedenfalls - der Mann ist ja immerhin abgestiegen. Aber Cowboyhut und Stiefel gehoeren fuer die meisten Maenner hier tatsaechlich immer noch zur Alltagskluft. Das "gh", das eigentlich noch zu Drive-Thru gehoeren wuerde, ist hingegen hier fast ueberall verschwunden.
Ah, ein Kollege. Fernradler habe ich schon seit Wochen nicht mehr getroffen, aber auch die Sportradler machen sich hier rar. Der hier ist der erste seit, ich glaube, Santa Fe. Im Alltag faehrt er Lastwagen, und ich freue mich, dass er als Radler auch mal die andere Perspektive erlebt, wenn ein Lkw ein Fahrrad ueberholt. Wir radeln ein paar Meilen zusammen, bevor er umdreht und heimrollt. Nettes Carbongefaehrt hat er da. Dagegen ist meines ein Lkw. Wir haetten eigentlich tauschen muessen.
Selbstbewusste Selbsterkenntnis:
So komme ich nach einem wenig spektakulaeren Tag in McPherson an.
Der naechste Tag wird superkurz - die Ortschaften liegen hier so unguenstig verteilt, dass ich nicht einfach zwei gleichlange Etappen fahren kann, sondern das in eine kurze und eine lange splitten muss. Nach Hillsboro sind es gerade mal 45 km.
So sieht es im landwirtschaftlich gepraegten Teil von Kansas ganz oft aus: ein endloser, gerader Highway, daneben eine kombinierte Strom- und Telefonleitung, ein Wasserturm, etwas Gruen neben der Strasse, dann fangen die Weizenfelder an. Die ganze Etappe heute sieht sehr aehnlich aus.
In Hillsboro angekommen, zeigt mir mein Warmshowers-Host die kleine Stadt, die aber immerhin ein College fuer 600 Studenten hat. Es gibt eine sehr reiche Wohngegend, eine sehr verlassene Main Street, ein verspieltes altes Haus, das jetzt ein Museum ist, das man aber auch fuer Abenddessen zu besonderen Anlaessen mieten kann, ...
... und einen Friedhof, auf dem bei bestimmt jeden vierten Grabstein mein Nachname steht, hier sogar mit deutscher Inschrift:
Hillsboro wurde von Mennoniten gegruendet, die urspruenglich aus Preussen stammten. Ein Schroeder war wohl dabei, der recht viele Nachkommen gehabt haben muss. Etwas gruselig finde ich die vielen Schroeders auf dem Friedhof schon.
Mein Host Charles beweist uebrigens, welchen Stellenwert die christliche Kirche hier in Kansas hat: vor dem Essen wird gebetet, zum Abschied bekomme ich zwei Bibelheftchen, und der Grossvater redet viel von Gott. Aber vielleicht ist ja was dran, immerhin ist er vor zwei Wochen 100 Jahre alt geworden. Charles ist jedenfalls ein aufmerksamer, sehr guter Gastgeber. Wir diskutieren auch vorsichtig ueber Politik - naheliegend, dass er Obama nicht waehlen wird. Ich frage ihn nicht, ob er mein Warmshowers-Profil wirklich ganz gelesen hat.
Trotzdem schlafe ich sehr gut in seinem Gaestezimmer im Keller.
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