Mad City nennen die Einwohner von Madison selbst ihre Stadt. Verrueckt? Ein bisschen, ja. Aber hauptsaechlich schwungvoll, bunt und lebendig - zumindest an einem warmen Sommertag im Juni. Man merkt sehr stark, dass von den 230000 Einwohnern etwa 40000 Studenten sind - an den extrem vielen Fahrraedern auf der Strasse, an den vielen kleinen Bars und Kneipen, an den vielen nicht auf Hochglanz polierten Laeden und an der generell entspannten Atmosphaere.
Ich komme am fruehen Nachmittag dort an und will eigentlich noch mindestens 40 km weiter fahren. Aber diese Strandpromenade laedt mich dann doch erst einmal zu einer laengeren Pause mit einem kuehlen Getraenk ein.
Ich entdecke hier auch einen "Rathskeller" und einen "Brat Stand". Die interessieren mich jetzt aber nicht so sehr.
Ich bin hier keine halbe Meile von der Innenstadt entfernt - die liegt ganz trickreich auf einer nur wenige hundert Meter schmalen Landbruecke zwischen zwei Seen.
Spontan spricht mich ein junger Vater an und erzaehlt mir, dass er mit seiner Freundin schon durch China geradelt ist und sein zweijaehriges Sohn in diesem Jahr das erste Mal mit auf Tour war. Er bietet mir an, bei ihnen zu uebernachten. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich noch, dass ich heute noch weiterfahren werde, und lehne dummerweise ab.
Nach der Seeuferpause mache ich mich auf den Weg zum Capitol, denn Madison ist ja die Hauptstadt von Wisconsin. Zuerst komme ich an etlichen Universitaetsgebaeuden vorbei, die mich an alte Burgen...
... und Schloesser erinnern.
Oder an Kirchen, bei denen der Turm irgendwie vom Dach gerutscht ist:
Und das alles bunt zusammengemischt direkt nebeneinander. Ich glaube, die Architekten haben sich doch ein wenig zu sehr von der alten Welt inspirieren lassen.
Aber habt ihr die Menge Fahrraeder vor der Kirche, die wirklich eine ist, gesehen? So sieht es eigentlich ueberall in Downtown Madison aus. Wie gesagt: Sparta behauptet ganz laut, "bicycle capital of the world" zu sein, und Madison ist es einfach, ohne gross Aufhebens deswegen zu machen. Jedenfalls, wenn man "world" hier als anderes Wort fuer Wisconsin ansieht. Hier gibt es nicht nur ueberall Bike Lanes, sondern auch so Aufstellzonen vor den Autos an der Ampel. Habe ich in den USA noch nirgendwo sonst gesehen.
Das Capitol liegt mitten in der Innenstadt, nur ein grosser Kreisverkehr trennt es von den Wohnhaeusern und Geschaeften. Sicherheitsmassnahmen, Polizeipraesenz, Strassensperren: Fehlanzeige.
Okay, alle Politiker sind wohl derzeit in den Sommerferien. Aber so paranoid, wie die Amis an Flueghaefen und Grenzen sind, so entspannt sind sie anscheinend mancherorts innerhalb ihres Staates.
Das Posieren vor einem Kapitol wird auch langsam zur Routine fuer mich. Und irgendwie sehen sie sich doch alle recht aehnlich. Die Kuppel hier gehoert aber angeblich zu den fuenf groessten der Welt. Ich habe nicht geprueft, ob das wahr ist.
So sieht sie jedenfalls von innen aus. Wie hoch sie ist, sieht man auf dem Bild oben - und trotzdem kriege ich sie mit einem 24-mm-Weitwinkel nicht ganz in's Bild. Doch, sie ist schon wirklich gross.
Eines der vier Treppenhaeuser. Hier ist alles aus Marmor oder damit verkleidet, und zwar mit dem unterschiedlichsten Marmor aus den verschiedensten Laendern. Das und die vielen Dachfenster, die das Tageslicht hereinlassen, lagen dem Architekten besonders am Herzen.
Dachfenster und Gemaelde in einem Anhoerungsraum, der urspruenglich irgendeiner Transportorganisation zur Verfuegung stand, die sich massgeblich an den Baukosten beteiligt hatte. Deshalb zeigt das Gemaelde die verschiedenen Transportarten - eine Dampflokomotive links, ein Dampfschiff halbrechts und - ganz modern - ein Auto am rechten Bildrand. Damit wird auch klar, wie jung dieses Capitol ist - es wurde 1917 fertiggestellt.
Der Supreme Court von Wisconsin, von den Aufgaben her vergleichbar mit unserem Bundesverfassungsgericht.
Lustiges Konzept: jeder Fall wird hier genau eine Stunde lang verhandelt - beide Seiten duerfen je eine halbe Stunde lang ihre Argumente vortragen, danach ist Schluss. Das schriftliche Urteil laesst aber dann doch noch ein paar Wochen bis Monate auf sich warten.
Das Repraesentantenhaus, also das eigentliche Parlament. Das ist der groesste Saal im Haus.
Ueber dem Speaker thront Old Abe junior. Old Abe war ein Adler, der den Nordstaaten im Buergerkrieg als Maskottchen geholfen hat.
Nach dem Krieg hatte er seine eigene Voliere im zweiten Capitol, bis er bei einem Brand umkam. Danach wurde er ausgestopft praesentiert, bis es wieder brannte, diesmal das ganze Capitol. Nachdem man dann das jetzige, dritte Capitol gebaut hatte, hat man einen Ersatzadler gesucht, der jetzt sozusagen Old Abe doubelt. Man legt hier Wert darauf, dass dieser Ersatzadler eines natuerlichen Todes gestorben ist, bevor er ausgestopft wurde. Das sind so die Geschichten, die man in den USA bei einer Fuehrung durch den Regierungssitz erzaehlt bekommt. In Deutschland waeren wahrscheinlich stattdessen Architektur und Kunstwerke des Hauses im Detail analysiert worden. Was da jetzt besser ist? Ich sage nix.
Blick von der Kuppel zu dem See im Norden ...
... und dem im Sueden - man beachte den entgegengesetzten Schattenwurf.
Sehr breit ist diese Landbruecke, auf der das Kapitol und die restliche Innenstadt liegt, wirklich nicht.
Und noch ein Versuch, die Kuppel auf die Speicherkarte zu bannen, diesmal von einer Galerie im dritten Stock.
Und dann war da noch eine kleine Drei-Frau-Occupy-Party, die gegen den aktuellen Gouverneur protestiert, der leider gerade ein Abwahlverfahren ueberstanden hat. Seine Ansichten sind tatsaechlich eher betonkapitalistisch, und ich finde, die drei jungen Damen haben mit ihren Forderungen recht. Leider wird ihr Protest nichts bewirken, die Bevoelkerungsmehrheit steht hinter dem Mann.
Ich verlasse das Kapitol und fahre in Richtung des anderen Sees. So sieht es im Blick zurueck aus.
Meinen freundlichen Chinaradler erreiche ich leider telefonisch nicht, also suche ich mir per Google ein Hotel und finde das Ruby Marie:
Das Haus stammt von 1870, und die jetzigen Eigentuemer haben es sorgfaeltig im damaligen Stil restauriert, inclusive der Inneneinrichtung. So verbringe ich die Nacht leider wieder sauteuer, aber sehr stilvoll und mit Seeblick in einem Zimmer, das auf den ersten Eindruck aus dem 19. Jahrhundert stammen koennte. Auf den zweiten Blick finde ich aber doch Fernseher, Klimaanlage und sogar Blubberduesen in der Badewanne.
Das Fruehstueck wird vom Deli im Erdgeschoss bereitgestellt - frische Croissants wie aus Frankreich sind doch mal eine Abwechslung. Hinten im Gebaeude findet sich das "Essen Haus", eine angeblich deutsche Wirtschaft. Ob der Name absichtlich so holpriges Deutsch ist, kriege ich nicht raus. Sie offerieren jedenfalls Weisswurst vom Grill und Wiener Schnitzel mit Sauerkraut... Aus Neugier bestelle ich die Kaesespaetzle. Sie haben zwar mit schwaebischen Kaesespaetzle nichts gemein, sind aber trotzdem auf ihre Art gar nicht schlecht.
Das Fruehstueck wird vom Deli im Erdgeschoss bereitgestellt - frische Croissants wie aus Frankreich sind doch mal eine Abwechslung. Hinten im Gebaeude findet sich das "Essen Haus", eine angeblich deutsche Wirtschaft. Ob der Name absichtlich so holpriges Deutsch ist, kriege ich nicht raus. Sie offerieren jedenfalls Weisswurst vom Grill und Wiener Schnitzel mit Sauerkraut... Aus Neugier bestelle ich die Kaesespaetzle. Sie haben zwar mit schwaebischen Kaesespaetzle nichts gemein, sind aber trotzdem auf ihre Art gar nicht schlecht.
Nach dem Abendessen fahre ich wieder an die Seeterasse, und lerne dort Neil kennen, der mir spontan einen sehr alkoholhaltigen Drink spendiert, den er aus der Satteltasche eines Fahrrades zieht. Er bietet mir auch an, bei ihm zu uebernachten, aber nun habe ich ja schon ein Hotel. Wir hoeren uns zusammen die Liveband an, die da gerade spielt, und er erzaehlt mir Gruselgeschichten von einem Psychopathen, der am anderen Seeufer gewohnt hat und die Vorlage fuer Hitchcocks "Psycho" war. Ich schlafe trotzdem gut.
Da ich ja nach Madison nur etwas ueber 50 km gefahren bin, ist die naechste Etappe nach Milwaukee natuerlich jetzt extralang - 146 km, um genau zu sein. Aber sie verlauft wieder angenehm huegellos und ruhig auf einer Bahntrasse.
Beim Losfahren faellt mir noch dieser Fahrradladen gleich gegenueber meines Hotels ins Auge. Ja, so wird man bicycle capital:
Das ist meine Trasse fuer heute. Es ist deutlich kuehler geworden, und so fahre ich frohgemut und ohne viel zu schwitzen los.
Ein Reiherpaerchen stolziert an ihrem Tuempel entlang und laesst sich von mir nicht beeindrucken. Ich bin allerdings auch recht weit weg, das Zoomobjektiv meiner Kamera leistet hier ganze Arbeit.
Auf diesem Foto ist einfach nur typische gruene Wisconsin-Landschaft mit Bilderbuchwolken. Sehr viel spannendes gab's naemlich nicht zu fotografieren.
Doch, hin und wieder ein Oldtimer. Dieses Auto ist eine Tin Lizzy, also ein Ford Model T, so richtig alt und das erste Auto, das massenweise am Fliessband gefertigt wurde. Muss noch vor 1920 gewesen sein. Die Karbidlampen neben der Windschutzscheibe sind original. Bremsen an den Vorderraedern gab es nicht, die Fussbremse wirkte auf die Kardanwelle.
Anzeigeinstrumente kamen auch erst sehr viel spaeter, und die zwei Gaenge wurden per Pedal geschaltet. Der Hebel ist nur die Handbremse.
Tja, und dann treffe ich meine beiden Tandemfahrer vom Vortag wieder, die eigentlich einen halben Tag vor mir sein sollten. Sie haben dann doch auch in Madison uebernachtet und sind spaet losgekommen. Da sie etwas langsamer sind als ich und ich dafuer viel mehr kleine Pausen mache, fahren wir nicht zusammen, treffen uns aber immer mal wieder und ratschen ein wenig. Hier machen sie Mittagspause, die ich schon hinter mir habe.
Kurz vor Milwaukee treffe ich auch diese drei Jungs wieder, die mich vorher schon zweimal ueberholt hatten (und dann wegen einer Reifenpanne wieder zurueckgefallen sind). Zwei fahren mit Anhaenger und sind trotzdem deutlich schneller als ich. Sie sind auch in La Crosse losgefahren wie ich, haben aber wohl einen Tag weniger gebraucht. Die beiden rechts sind Brueder und wohnen in Milwaukee. Wenn ich nicht schon ein Quartier bei Else haette, koennte ich bei ihnen wohnen, bieten sie mir an. Die letzten 20 km fahren wir zusammen, und ich gebe mein bestes, damit sie mich nicht abhaengen.
An einem Park trennen wir uns schliesslich wieder - die kleine Tochter des einen Bruders tritt da auf einem griechischen Fest auf, das will er natuerlich sehen. Ich hingegen will weiter.
Und so komme ich in Milwaukee an und stolpere gleich ueber die erste Sehenswuerdigkeit, jedenfalls aus meiner Sicht. Hier werden grosse Motorraeder geboren!
Noch einmal fuenf Kilometer weiter, und ich stehe am Ufer des Lake Michigan. Der mich da knipst wird kein Starfotograf mehr - mein Kopf verdeckt genau das interessanteste Gebaeude der Stadt, das Milwaukee Art Museum. Koennte er mir ja auch sagen.
Hier isses nochmal, leider in einer etwas uninteressanten Perspektive. Denn selbst ich als architektonischer Laie finde es hochinteressant, jedenfalls aus anderen Perspektiven.
Und nach weiteren zehn Kilometern nordwaerts komme ich abends um acht Uhr nach 146 problemlosen Kilometern doch erstaunlich wenig erschoepft bei der Mutter aller bisher besuchten Cousins und Cousinen an, meiner Tante Else. Jetzt sind erst mal wieder fuenf bis sechs Tage Pause angesagt - Else freut sich sehr, mich zu sehen, da soll sie doch auch was von mir haben. Spaetestens naechstes Wochenende geht's weiter.
Bis hierher waren es jetzt uebrigens 5886 km. Wollte ich nur mal so sagen.
Hey Dani,
AntwortenLöschender Kamerakauf hat sich auf jeden Fall gelohnt, sind echt schöne Bilder mal wieder.
Und dass ich jetzt weiss, wer Old Abe Junior ist, macht mich auch froh :-). Apropos froh- was macht eigentlich dein Fuss? Merkst du da noch was davon?
Ich hoffe übrigens, der nächtliche BH-Angriff hat dich nicht nachhaltig traumatisiert!
Liebe Grüße
Julia
Hi Daniel,
AntwortenLöschendanke für die prompte Umsetzung des CRs ;D Da der Lack ab ist, kann man leider nicht erkennen, ob das auch ein John Deere ist. ;D Sonst hätte ich gesagt, hättest Du ihn grün streichen müssen. Über den Spider hatte ich mich auch schon gewundert, aber dann bei der Frage, welcher von den anderen mir am besten gefallen würde, gleich wieder verdrängt. Der Mustang ist dabei (für mich selbst erstaunlich) als erstes aus der engeren Wahl gefallen... *grübel*
Für golfballgroße Hagelkörner brauchst Du aber nicht so weit fahren. Das Carport einer Freundin von mir sieht seit letztem Dienstag wie ein Nudelsieb aus und eigentlich sollten die Platten bis 20mm Hageldurchmesser hagelfest sein.
Bei uns ist jetzt auch schon Hitze und Schwüle angekündigt. So etwa 33 Grad bis zum Wochenende. Auch der Sommer soll nach dem kalten Start recht heiß werden. Na bin ich mal gespannt.
Habe für Dich mal zum Capitol gegooglet. Bin aber erst mal nur auf ein paar andere Fakten gestoßen.
Es ist bereits das fünfte Regierungsgebäude und dabei das 3. Capitol, da die ersten schnell zu klein wurden. (Das erste kostet im Bau 60,000$ das dritte bereits 7.2 Millionen)
Im Senatssaal gibt es eine Darstellung der Germania, also der Germanien personifizierenden Frau.
Seit 1931 darf man während der Führung nicht mehr auf die oberen Aussichtsplattformen und die Laterne, mittlerweile nur noch aufs untere Observationdeck. (weiß Du ja anscheinend schon)
Es ist 3 Fuß niedriger als das in Washington.
Die Außenkuppel ist die größte Granitkuppel der Welt.
Die Kuppel ist die größte vom Volumen in den USA.
==> Also könnte es schon stimmen...
Wenn Du noch mehr Fakten willst wie Architekten und wie schwer die "Wisconsin" oben auf ist, warum sie die Hand zum "Forward" streckt, daß sie im 24 Karat Gold Kratzer hatte, die gleich erstmal ausgebessert werden mußten und so, dann kannst Du ja hier schauen http://www.wisconsin.gov/state/capfacts/tour_select.html http://tours.wisconsin.gov/pub/Content.aspx?p=History ;P Das mit dem Adler habe ich da aber auf die Schnelle nicht gelesen.
Na dann mal weiter viel Spaß und nicht daß Du jetzt doch noch auf ein Gefährt aus Milwaukee umsteigst, nachdem Du im Blog schon sooo oft probegesessen hast...
Erholsame Tage und weiterhin gute Fahrt,
Mark