Die naechste Etappe bringt mich von Clayton nach Boise City. Ich lerne, dass sich das wie "Boys City" ausspricht - ich habe das eher franzoesisch probiert, aber das hat niemand verstanden.
Nach ein paar Meilen komme ich nach Texas - fuer ungefaehr zwei Minuten. Amerikanische Bundesstatten tendieren ja zu einer gewissen Eckigkeit, und die linke obere Ecke von Texas reicht ganz genau bis zum Strassenrand des Highway 56, auf dem ich immer noch radle. Also biege ich kurz mal nach rechts ab und stehe in Texas. Sieht auch nicht viel anders aus als New Mexico, aber ein Staat mehr, den ich als "da war ich schon" abhaken kann.
Zurueck in New Mexico, fallen mir diese riesigen Bewaesserungsanlagen auf, die immer zu lustig runden Feldern fuehren. Wenn sowas als Fahrzeug gilt, waeren es sicher die groessten der Welt.
Irgendwann verlasse ich aber New Mexico endgueltig ...
... und komme nach Oklahoma - in den seltsamen duennen "pan handle" ganz im Westen von Oklahoma.
Dabei wechsele ich auch die Zeitzone - wieder eine Stunde weniger Unterschied zu Deutschland. Allerdings bin ich noch so weit im Westen, dass die Sonne jetzt etwa zwei Stunden hinter der Uhr herlaeuft - morgens ist es noch ewig lange dunkel, den hoechsten Stand erreicht sie gegen zwei Uhr, dafuer ist es abends viel laenger hell. Das wird sich aber relativieren, je weiter ich nach Osten komme.
Und wie schon angedeutet, habe ich heute tollen Rueckenwind - auf ebener Strecke rolle ich mit 45 km/h dahin und muss nur leicht mittreten.
Ich will euch den Wind natuerlich auch zeigen, aber wie fotografiert man ihn? Vielleicht anhand einer verwehten Blume?
So langsam aendert sich auch das Klima: die karge, aride Landschaft wird auch ohne kuenstliche Bewaesserung gruener. Und platter - Berge oder auch nur Huegel gibt es nicht mehr, die hoechsten Erhebungen fuer die naechsten Tage sind Eisenbahnbruecken. Dabei geht es aber stetig leicht bergab - in den naechsten Tagen werde ich etwa 200 Meter Hoehe am Tag abbauen.
Die Leute haben mich gewarnt, dass der Mittlere Westen eintoenig waere. Auch wenn er mit den Bergen nicht ganz mithalten kann, bietet er doch ein interessantes Farbenspiel aus goldenem Weizen, gruenen Wiesen, bunten Blumen und blauem Himmel (der auf diesem Foto nun gerade fehlt).
Die Kathedralen des Mittleren Westens: Getreidesilos. Sie stehen in jedem kleinen Ort und sind regelmaessig das hoechste Gebaeude. Vielleicht sollte man oben noch einen kleinen Glockenturm ansetzen?
Schliesslich komme ich in Boise City an - eine kleine Stadt an der Kreuzung zweier Highways. Nicht besonders schoen, da haben mir andere Staedte schon besser gefallen. Aber die Dorfjugend faellt mir auf - am lokalen Wasserturm kann man 300 Gallonen Wasser fuer 50 Cent kaufen. Dem Wasserturmwaechter ist es egal, wo er's reinfuellt, er laesst auch einen Pickup volllaufen. Und schon haben die Jungs ihren privaten mobilen Swimming Pool. Coole Sache.
In Boise City suche ich mir ein Motel und bleibe fuer den Rest des Tages in der Naehe der Klimaanlage.
Am naechsten Morgen mache ich mich auf nach Elkhart, Kansas. So, und nach ein paar Meilen bin ich wieder in Texas. Wie kann das sein, ich bin doch viel zu weit noerdlich dafuer?
Das haben die Amis gemacht, um Touristen und potentielle Feinde zu verwirren: im pan handle von Oklahoma (das man auf dem Foto schoen erkennen kann) gibt es einen Landkreis, der eben Texas heisst - ich bin in Texas County, Oklahoma. Nicht im "richtigen" Texas. Aber immerhin werde ich willkommen geheissen.
Die Landschaft unterscheidet sich nicht von der gestrigen - flach und mit Weizenfeldern.
Deshalb fange ich spontan eine kleine Sammlung von Ortseingangs... aeh ... "schildern" passt hier nicht so ganz. Elkhart hat sich hier ganz besonders Muehe gegeben, und dabei vergessen, Schilder aufzustellen, dass hier Oklahoma endet und Kansas anfaengt. Die Grenze verlaeuft genau vor diesem liebevollen Arrangement.
Elkhart selbst ist eine richtig nette kleine Stadt, deutlich reicher und aufgeraeumter als zum Beispiel Boise City. Allerdings merke ich, dass ich jetzt im Bible Belt angekommen bin: innerhalb von zweihundert Metern stosse ich auf vier Kirchen verschiedener christlicher Religionen. Das wird auch in anderen Ortschaften in Kansas aehnlich sein.
Elkhart hat seinen eigenen Flugplatz - wie die meisten Orte hier. Ob da allerdings je schon mal ein Learjet wie auf dem Schild gelandet ist?
Zuerst habe ich mich doch gewundert, warum selbst manche 500-Seelen-Flecken Flugplaetze brauchen, auch wenn Tower und andere Gebaeude doch eher klein ausfallen.
Irgendwann ist aber der Groschen gefallen: die sind natuerlich weder fuer Sport- noch fuer Geschaeftsflieger gedacht, sondern fuer die Agrarflieger. Die Farmen hier sind so gross, dass immer noch aus der Luft geduengt und gesprueht wird:
Eigentlich wollte ich ja in Elkhart uebernachten, aber das Radl laeuft gerade derart gut, dass ich einfach weiterfahre. Die naechste Etappe ist ja auch nur 53 km lang, das schaffe ich heute noch.
Neben Land- und Viehwirtschaft ist auch die Erdoel- und Erdgasfoerderung ein grosser wirtschaftlicher Faktor. Die geruhsam vor sich hin nickenden Pumpen sind zwar nicht so zahlreich wie in Texas, aber ich sehe trotzdem eine ganze Manege von ihnen am Strassenrand.
Das wollte ich euch schon laenger zeigen: die Nationalparks heissen hier nicht mehr "forest" - ihr erinnert euch an aeltere Bilder aus den Bergen? - sondern "grassland". Das ist doch gleich viel ehrlicher und trifft die Realitaet auch besser.
Ob hier die Ahnen meines Fahrrades herkommen? Immerhin ist es ein Stevens...
Die Doppeletappe ist zu Ende ich erreiche Hugoton und damit das naechste Ortseingangsschild. Nicht mehr so aufwaendig wie Elkhart, aber immer noch deskriptiv mit seinen beiden Foerdertuermchen. In der Tat sehe ich die ganze Zeit Erdgasfoerderanlagen, die aber so wenig fotogen sind, dass ich das habe sein lassen.
Einen Wasserturm hat jeder Ort, aber Hugoton hat sich architektonisch doch mehr Muehe gegeben als alle anderen Staedte. Erinnert mich ganz entfernt an die
Space Needle in Seattle - ich glaube, die Leute in Hugoton wuerden sich ueber diese Assoziation freuen.
Hugoton leistet sich auch ein aufwaendiges, geosses Schuldgebaeude. Die Stadt ist ambitioniert.
Mein Motel allerdings nicht. Das ist der Ausblick aus meinem Zimmer - direkt auf die Kreuzung des Highway 56 mit einem anderen Highway. Am Abend war der ganze Platz dann uebrigens mit riesigen Sattelzuegen vollgestellt, deren Fahrer alle hier uebernachtet haben.
Und wieder bin ich sehr dankbar fuer die Klimaanlage - am Nachmittag hat es 38 Grad, das ist mindestens 10 Grad zu warm fuer die Jahreszeit.
Jeden Tag will ich gaaaanz frueh aufstehen, und jeden Tag komme ich doch erst gegen acht Uhr auf"s Fahrrad. So mache ich mich auch heute spaeter auf den Weg nach Dodge City als ich wollte.
Und prompt biege ich irgendwo falsch ab und bin in Russland.
Oder doch nicht? Ich glaube, jede grosse Stadt der Welt hat irgendwo in USA einen kleinen Namensvetter, auch wenn sie im Reich des boesen kommunistischen Feindes liegt. Mit Elkhart kann aber auch das Moskauer Schild nicht mithalten.
Dafuer haben sie sehr lustige Fahrzeuge. Ich nenne das hier einfach mal "Nasenbaer".
Unterwegs faellt mir diese Oase mit ihren krummen Baeumen und Bueschen auf. Sieht irgendwie aus wie eine Filmkulisse - ich weiss nur nicht, fuer welche Art Film.
Egal. Die Natur spielt mal wieder mit ihren Farbtoepfen:
Und das naechste Schild meiner kleinen Sammlung: Satanta. Ich brauche den ganzen Tag, um nicht jedesmal "Santana" zu denken oder zu sagen.
In Sublette hat man sich wieder mehr Muehe mit dem Schild gegeben. Das zugehoerige Stadtchen ist auch recht nett.
In Montezuma hat man immerhin zwei Betonpoller zusammengestellt und mit abgesetzter Schrift versehen. Hat etwas strenges, militaerisches, ist aber eine kleine Stadt und keine Kaserne.
Dieses Bild darf in's Blog, weil die Beschriftung des Schildes auf der Rueckseite ja fast schon etwas anarchistisch-subversives und trotzdem friedliches hat:
Ausserdem ist das einer der groessten Windparks hier in Kansas. Dodge City, so lerne ich, ist die windigste Stadt (im Wortsinne! :)) der USA, und Kansas erzeugt immerhin etwa 3 Gigawatt elektrischer Leistung aus Wind.
Dann komme ich in Dodge City, Kansas, an. Eigentlich bin ich nach 144 km - von Hugoton nach Dodge - im Hotel angekommen, aber da fehlen ja nur noch 10 Meilen zu den 100 - und seit dem Santa-Fe-Century-Radevent will ich doch wissen, ob ich sowas schaffen wuerde.
Also habe ich mich geduscht, die internen und externen Fluessigkeitsvorraete aufgefuellt und mich wieder auf's Radl geschwungen und Dodge angeschaut. Zurueck im Hotel zeigt der Kilometerzaehler jetzt 161.34 km, das sind etwas mehr als 100 Meilen. Yes, I can. :)
Dodge City ist ja schon der Inbegriff des Wilden Westens. Mein Hotel liegt auch noch in der Wyatt Earp Avenue. Wildwestiger kann's nicht mehr werden. Oder doch: morgen soll hier ein Rodeo stattfinden.
Auch heute waren es wieder 38 Grad. Fuer morgen gibt's auch Sturm- und Tornadowarnungen, erst uebermorgen soll die Kaltfront (also: Normaltemperaturfront) ueber Kansas hinwegziehen. Deswegen und um das Rodeo anschauen zu koennen, bleibe ich einen Tag laenger in Dodge und hoffe, den Unwettern zu entgehen.
Anderes Thema: Gewicht. Mein Hotel hat einen Fitnessraum, und der hat eine Waage. Laut dieser und meiner Einheiten-Umrechnungsapp bin ich jetzt acht Kilo leichter als noch zu Beginn meiner Reise. Hat mich auch gefreut.
So, jetzt hole ich noch die Waesche aus dem hoteleigenen Trockner und dann verfuege ich mich in's Bett.